Chicago
Manchmal
sogar Menschen wie du und ich
Von Jörg Gülden
Mannoman, da hast
du dich ja wieder aufn Ding eingelassen, denkst du und machst dich mit
stark gemischten Gefühlen auf, die Herren von Chicago zu interviewen.
Und dann entpuppten sich die vermeintlichen Heavies als ganz umgängliche
Menschen, und der eine, der dir gegenübersitzt, fragt dich gar
zwischen zwei Gabelbissen ganz ernst, wo man denn hier in Hamburg wohl
die schönste Babyunterwäsche kaufen könne.
Dieser eine ist der Chicago-Gitarrist Terry Kath, der sich seit 'ner
Weile wohl der schwierigen Aufgabe verschrieben hat, mindestens so dick
wie Leslie West zu werden. Man kann regelrecht Mitleid mit ihm bekommen,
wenn man mit ansehen muss, welche Fressberge er da in sich hineinzustopfen
versucht. Mit ihm gekommen sind Bassist Peter Cetera, Schlagzeuger Daniel
Seraphine, Percussionist Laudir De Oliveira und "Mastermind"
William Guercio, der Produzent. Das Anhängsel der Fünf bilden
noch diverse Frauen, Freundinnen und Kinder, und selbstverständlich
sind der Ordnung halber auch noch die obligatorischen Herren und Damen
der Plattenfirmen zugegen. Der Anlass des Chicago-Kurzbesuchs ist ein
bisschen Promotion für die zehnte LP zu machen und das Feld für
die kommende Tour zu sondieren.
Man befindet sich (selbstredend) in einer Hamburger Nobelherberge, und
damit auch dem letzten Journalistenfrischling klar wird, welchen Status
diese Gruppe für ihre Plattenfirma hat, ist da ein Büfett
aufgetürmt, mit dem selbst der Hamburger Bürgermeister lässig
drei gepflegte Neujahrsempfänge bestreiten könnte.
Aber bevor ich mich jetzt in kulinarische Einzelheiten verliere, sollte
ich lieber mal ein kurzes Anekdötchen ablassen, das mein Verhältnis
zu Chicago und ihrer Musik demonstriert. Im Gegensatz zu wirklich 90
Prozent meiner besten Freunde, die bei jeder neuen LP der Band in Ekstase
geraten und die Dinger dann solange abnudeln, bis sie ihnen zu den Ohren
rauskommen, hat mich dieses Jazz-Rock-Orchester eigentlich immer kalt
gelassen, bis auf... Tja, bis auf solche Momente, wo du nach einem relaxten
Land-Wochenende beim Salzinger wieder im Auto Richtung Hamburg gondelst
und urplötzlich via Radio Luxemburg trotz des denkbar schlechten
Empfangs eine Nummer aus dem Autoradio quäkt, die deinen sensiblen
"das ist der Hit für dich"- Nerv voll trifft. Am nächsten
Tag rennst du dann rum und fragst jeden: "Sag mal, kennst du 'ne
Nummer, so'n Blas-Rock-Ding, bei dem der Refrain 'Feeling Stronger Every
Day' lautet?" Und endlich sagt dann einer: "Klar, das ist
von Chicago, und das Stück heißt sogar so!"
Tja, und dann hast du plötzlich nicht nur einen weiteren Hit, den
du in deine persönliche Top Twenty einreihst, nein, du fährst
sogar noch zu 'nem Festival (Scheeßel), um das Stück eventuell
auch noch live genießen zu können. (Dem Genuss ging damals
allerdings eine ziemliche Qual voraus, denn als Chicago endlich "Feeling
Stronger Every Day" anstimmten, da fiel zunächst die Orgel
aus; beim zweiten Anlauf verabschiedete sich dann der Gitarrenverstärker,
und ich glaubte schon verzweifelt, dass sie's ein drittes Mal bestimmt
nicht versuchen würden. Doch der dritte Versuch entschädigte
dann voll für das Generve, und ich weiß noch, dass ich davon
so high war, dass ich mir hinterher ziemlich einen angesoffen hab'.
Kurzum, von den ganzen Chicago-LP's - mittlerweile sind's ja zehn -
haben mich immer nur ein paar Stücke, Hämmer wie "I'm
A Man", "Make Me Smile", "Feeling Stronger..."
oder "Once Or Twice", interessiert, und die konnten mich voll
für den übrigen Brass-Rock-Pomp auf den Platten entschädigen.
Doch persönliche Vorlieben oder Abneigungen mal beiseite, diese
Band ist trotz allem ein echtes Phänomen: Ende Dezember wurde auch
LP Nummer 10 in den USA mit einem Platin-Album bedacht, und das heißt
ganz schlicht, dass Chicago von jeder ihrer zehn Platten über eine
Million Stück unters amerikanische Volk bringen konnten. Wenn das
nicht phänomenal ist, dann... Und da auf den Seiten dieser Zeitschrift
noch nichts Bedeutendes über diese Gruppe gestanden hat, könnte
man ruhig mal was Chicago-Historisches vom Stapel lassen.
Die Geschichte
von Chicago
Das Wort hat also
zunächst Mr. Terry Kath, der sein opulentes Mahl beendet hat und
nun mit diversen Slibowitz sein Magengrimmen zu bekämpfen versucht:
"Wow, ein heißer Stoff, dieser Slibowitz (hustet), also ich
bin jetzt 30; angefangen zu spielen habe ich zusammen mit Walter Parazaider,
unserem Saxophonisten, mit etwa 14 Jahren, d.h. ich mache jetzt rund
16 Jahre Musik. Zunächst waren das alles mehr oder weniger Top-Forty-Gruppen,
in denen wir die Hitparaden rauf und runter spielten, aber Mann, das
übt! 1965 kam dann noch. Danny, unser Drummer, hinzu, und zu der
Zeit nannten wir uns The Big Thing, davor hießen wir 'ne Zeit
lang Jimmy & The Gentlemen, davor dann The Executives, und anfangs,
da hatten wir für 'ne Weile überhaupt keinen Namen, da waren
wir lediglich Dick Clarkes Backinggroup. Ach ja, die Shirelles haben
wir auch begleitet, aber irgendwie zeichnete sich schon dieses Ding
mit Chicago ab. Ich meine, wir spielten alle in verschiedenen Bands
und übten nur so für uns unser eigenes Material ein, und an
'nen Namen für diese Phantomgruppe hat damals noch keiner gedacht,
denn dieses Backinggroup-Ding lief noch reichlich lange. Die Drifters,
Tom Jones, Peter And Gordon, Bryan Hyland, Mel Carter, The Crystals,
Jay And The Americans und weiß der Teufel noch wen, das sind so
die Leute, die wir damals begleitet haben. Aber wenn du das heute so
rekapitulieren musst, dann kommst du total durcheinander, drum lass
es mich kurz machen. Bevor Chicago startete, hießen wir 'ne Weile
The Missing Links, aber Missing Links gab's damals beinahe in jeder
Stadt. Dann kam der Versuch mit The Big Thing, aber da weigerten sich
die Veranstalter fast immer, unseren Namen aufs Plakat zu drucken, denn
The Big Thing, das war denen wohl zu hochgestochen. Ich weiß noch,
ein paar haben uns sogar als The Big Sound angekündigt, das konnten
sie wohl noch grade so verantworten.
Na und dann nahm unser eigenes Ding mehr und mehr Form an. Ich meine,
wir hatten mittlerweile jede Menge eigenes Material, genügend Selbstvertrauen,
bloß noch keinen Namen. Das Ding mit Chicago Transit Authority
hat Guercio ausgeheckt. Ach ja, zu Jim Guercio muss ich noch was sagen.
Der war also schon ewig dabei; damals bei Jimmy And The Gentlemen, da
war er der Jimmy. Er spielte damals schon einen scharfen Bass, und ich
mühte mich mit der Gitarre. Als Jim dann ausstieg, hab' ich Bass
gespielt, ja, eigentlich bis zum Start von Chicago, da bin ich
wieder zur Gitarre zurückgewechselt. Nun, die Idee mit Chicago
Transit Authority war einfach die, den Leuten zu sagen, dass wir aus
Chicago kamen und ihnen unsere Musik via Transit Authority in den Konzertsaal
bringen wollten. Aber leider ging das daneben, denn da der Name so lang
war, kürzten einige Zeitungsleute ihn einfach zu CTA ab, und da
hat 'n Haufen Leute geglaubt, das seien zwei verschiedene Gruppen.
Wir haben uns zusammengehockt und überlegt, und plötzlich
sagt einer: "He, Chicago!", und da hat's geklickt. Der Ärger
war nur, dass das Cover der ersten LP schon gedruckt war, und da stand
ja nun noch dick und fett Chicago Transit Authority drauf. Es hat 'ne
ganze Zeit gedauert, bis auch der letzte kapiert hatte, dass es sich
um ein und dieselbe Gruppe handelte. Diese Abkürzung auf Chicago
erwies sich als gut, mit so 'nem kurzen Logo kann man ja viel mehr machen.
Heute ist das Ding eingetragenes Warenzeichen, also gesetzlich geschützt..."
Meister Kath lässt sich noch 'ne Weile über die Vorteile von
Trademarks aus und erwähnt stolz, dass Chicago ja eigentlich mehr
ein industrielles Unternehmen als eine Musikgruppe sei. (In der Tat
hat jeder der Band, der auch Stücke schreibt, einen eigenen Musikverlag,
oder besser gesagt, eine eigene Edition bei einem Musikverlag.) Und
recht stolz weist er auch noch darauf hin, dass sich solches Finanzgebaren
für die Bandmitglieder ausgezahlt habe; er selbst habe sich grade
vorvorgestern mal eben 'ne neue Villa in der Nähe von Palo Alto
an der kalifornischen Pazifikküste erstanden. Das bringt er so
ganz nebenbei, als würde Unsereiner erwähnen, er habe sich
'ne neue Abtastnadel für den Plattenspieler erworben.
Lieblingsstücke
und die Konkurrenz
Nun wird das Szenario
ein bisschen wild, denn nach und nach gesellen sich die übrigen
Chicago-Mitwirkenden an unseren Tisch. Es erscheint zunächst Mr.
Seraphine, der sich klein und bescheiden mit folgenden Worten vorstellt:
"Hi, I'm Danny Seraphine, drummer with Chicago. Do you wart to
ask me some questions?" - Aber was willst du' jemanden, der dich
fragt, ob du ihn was fragen willst, noch groß fragen? Etwa ob
er sein erstes Schlagzeug mal zu Weihnachten bekam? Oder noch besser,
ob er noch ganz dicht sei? Was aber angesichts seiner extremen Höflichkeit
eher extrem unhöflich wäre. Als dann aber Senior Oliveira
und Mr. Guercio hinzukommen, wird's 'ne richtig lustige Diskussion;
Tenor: Welches Stück von welcher Platte gefällt wem am besten?
Terry Kath macht den Anfang. Er ist definitiv für Nummer sieben.."Sieben",
sagt er, "das war endlich perfekt!" Aus der Ecke des Zimmers
meldet sich Peter Cetera, der sich schon zum zweiten Mal die Stiefel
an- und auszieht (?), zu Wort. "The second one", ist sein
Lieblingswerk. "Tja", wirft Terry Kath ein, "das könnte
das beste sein, wenn wir da schon so gut gespielt hätten, wie wir's
heute tun!" - Also doch nicht nur Business Company, doch schon
Musiker, die fühlen, was sie spielen? Offensichtlich ja, denn Terry
hat's jetzt gepackt: "Mann", sagt er, "du hast uns doch
bei diesem Festival gehört und fandest uns gut; da müßtest
du uns aber mal heute hören. Jetzt spielen wir doppelt so gut,
mit der vierfachen Energie von damals. Also wenn wir die ersten LP's
heute noch einmal aufnehmen würden, dann fand' ich die auch top."
Da keiner 'ne weitere LP anzubieten hat, wechselt das Thema schnell;
nun geht's um die Konkurrenz, um Blood, Sweat & Tears.
"Pah, motherfuckers", grunzt Kath. "Ich hab' sie nie
gemocht. Ich meine, wir waren schon zwei Jahre beisammen, bevor die
das erste Mal aufgetreten sind. Was mich geärgert hat, war die
Frechheit, dass die einfach losgezogen sind und 'nen Deal mit 'ner Plattenfirma
gekriegt haben, bevor wir angefangen hatten. Das stank mir zwar, aber
,That's the way the balls bounce'. Aber ich hab' gewusst, dass wir's
besser bringen würden, ich hab' eben 'ne Menge Selbstvertrauen.
Und die Sache ist die: Wir waren so 'ne Art Steuerabschreibungs-Objekt
für CBS, und Blood, Sweat & Tears, die waren Supergroup. Und?
Heute, he?" - Womit dieses Thema für Terry Kath wohl erledigt
wäre, denn er kommt wieder zum Thema "Chicago-LP's":
"Von den Stücken her war eigentlich die erste LP die beste.
Wenn wir die heute noch einmal aufnehmen würden, oh wow... Weißt
du eigentlich, dass wir die komplett auf 'ner Achtspur-Maschine eingespielt
haben? Stell dir die Nummern mal auf 'ner Vierundzwanzigspur-Maschine
vor. Und I'm A Man', das haben wir in einem Take aufgenommen. Ich weiß
noch genau, wir spielten grade im Fillmore, da rief Guercio an und meinte,
das Material würd' nicht für'n Doppelalbum reichen, und er
hätte noch Studiozeit für den nächsten Tag gebucht. Na,
wir sind also hin und haben's in einem Sitz runtergespielt, und trotzdem
ist's klasse geworden."
Jemand fragt dazwischen, ob diese Kiste mit den Doppel-LP's nicht die
Band wie auch ihr Publikum überfordert habe? "Nee", meint
Kath, "fürs Publikum war das O.K., denn die Leute kriegten
von uns mehr Musik für weniger Geld, und für uns ging das
auch in Ordnung, denn an Material hat's uns nie gemangelt. Jeder von
uns ist ganz für sich in immer neue Richtungen gegangen, so dass
es keine Fraktionen innerhalb der Band gibt. Cetera z.B. kann genauso
gut 'nen eisenharten Rocker wie 'ne softe Nummer komponieren; das hängt
davon ab, wie er sich grade fühlt:.."
"Wenn ich meine verdammten Stiefel endlich anbekäme, würd'
ich mich viel besser fühlen", schreit Mr. Cetera dazwischen.
"Scheiß' auf deine Stiefel", knurrt der dicke Kath,
"...also Fraktionen gibt's bei uns eigentlich nicht, nur würde
ich als Gitarrist manchmal die Bläser weglassen!"
Mike Love
und die Herren von Caribou
Und dann sind wir
endlich beim Thema Beach Boys, und ich, ich muss endlich auch was über
das merkwürdigste Interview, das ich je geführt habe, loszuwerden.
Der Interviewte war Mike Love, der umqualmt von Mengen von Räucherstäbchen
und inmitten von Südfrüchtegebirgen wie eine Kassandra hockte
und allerlei garen und halbgaren Unsinn von sich gab. U.a. auch den,
dass Jim Guercio mit seinem Geschäftsmann-Appeal nicht so richtig
zu den Beach Boys gepasst habe und ein eher lahmer Bassist sei...
"That jive turkey, white candy ass motherfucker (was zu deutsch
etwa flattertruthahniger, weißzuckrig bonbonärschiger Mutterficker
heißt), so 'nen Spruch kann nur Mike Love bringen", grollt
Kath. "Der soll doch endlich auf den Berg gehen und wie die anderen
Kühe Gras fressen!" Doch Jim Guercio ist cool geblieben: "O.K.,
Mike Love kann von mir aus erzählen, was er will, aber in Wahrheit
sah die Sache so aus, dass die Beach Boys mit mehr als einer Million
Dollar in der Kreide standen und dass sie, nachdem ich etwa zwei Jahre
lang mit ihnen auf Tournee gewesen bin, runde acht Millionen Dollar
eingenommen hatten!"
Kath hat noch was zu mosern: "Echt, Junge, von den Beach Boys gehören
ein paar wirklich in die Klapsmühle, und der Love, der gehört
definitiv dazu!"
Guercio: "Mir hat's gefallen, mit ihnen zu spielen und mit ihnen
zusammen Erfolg zu haben. Die zwei Jahre, die ich dabei war, waren phantastisch,
aber mit 15 BIG ONES kam der Bruch, und dieser Bruch ist nur auf Mike
Loves Einfluss zurückzuführen. Sieh mal, Dennis hat auf seiner
Caribou-LP vier Titel, die ursprünglich auf die Beach Boys-LP sollten,
aber Mike Love war dagegen."
Kath: "Der Love denkt, er sei der allwissende Genius, und die übrigen
Beach Boys glauben das allmählich auch. Ich weiß nich', wieso,
und versteh' auch nicht, warum sie ihm nicht endlich mal diese Guru-Scheiße
aus dem Leib geprügelt haben. Der Kerl ist doch gemeingefährlich
beknackt!" Guercio: "...und wenn ich ein so verdammt lahmer
Bassist gewesen wäre, dann gäb's nämlich seit zwei Jahren
keine Beach Boys mehr!" Kath: "Pass auf, ich erzähl'
dir noch 'ne nette Geschichte über ihn; die einzig nette, die's
gibt: Weißt du, was shooting the moon ist? Das ist, wenn man den
Leuten den nackten Arsch hinhält. - Also, vor langer Zeit mal,
Walter (Parazaider) und ich waren mit unserer Gruppe auf Tour mit den
Zombies, da haben wir denen das vorgeführt. Die hatten's noch nie
gesehen und waren auch ganz scharf drauf, das sofort nach England zu
importieren. So kam shooting the moon auch nach Europa. - Kurzum, wir
sind also mit den Beach Boys auf Tour, und Walter und ich gondeln in
unserer Limousine den Highway lang. Auf einmal taucht von hinten die
Limousine von Mike Love auf und Walter meint, wir sollten ihm mal wieder,
nur so aus alter Freundschaft, den Mond schießen'. O.K., wir machen
das, und die Karre zieht an uns vorbei. Mike hatte übrigens seine
Freundin bei sich, oder sie hatte ihn bei sich. Egal, kurz darauf überholen
wir den Wagen wieder, und Walter meint, wir sollten noch einen drauflegen.
Also hängt er seinen Arsch zum Fenster raus und steckt sich noch
'ne qualmende Zigarette hinten rein. Das hat sie ausgeflippt. Aber nun
stell dir das vor, als uns seine Karre wieder überholt, da hängt
doch tatsächlich sein weißer Flatterarsch zum Fenster raus,
und hinten drin steckt 'ne Blume, hahahaha... Das zu Mike Love, und
damit hätten wir auch die Beach Boys erledigt."
Doch für Jim
Guercio scheint das noch nicht der Fall zu sein, denn er nimmt mich
beim Arm und schleppt mich nach nebenan in ein Badezimmer. Herrn Loves
Spruch scheint ihn wohl sehr gewurmt zu haben, denn nun redet er, der
erfolgreiche Plattenproduzent, nicht ganz so erfolgreiche Filmproduzent
und steinreiche Besitzer der berühmten Caribou Ranch-Studios, ziemlich
erregt auf mich ein: "Das, was ich dir jetzt sage, habe ich noch
keinem erzählt, aber Mike Love, der Kerl ist krank. Nicht nur körperlich
(er hat eine Rückgratverletzung), sondern auch im Kopf. Weißt
du, nicht nur dass er während der Tour dauernd versucht hat, den
Chicago-Jungs die Frauen auszuspannen, er ist auch der größte
Heuchler, den ich kenne. Dieses Meditations-Ding, das er vor allen Leuten
abzieht, das ist nur Fassade, denn in Wirklichkeit ist er all das, was
er vorgibt, nicht zu sein: geil auf Geld, geil auf große Häuser,
geil auf dicke Autos und geil auf anderer Leute Weiber. Und wenn ich
nur Geschäftsmann wäre, was zum Teufel hätte mich dazu
bewegen können, mit der Band auf Tour zu gehen? Und so ein schlechter
Bassist kann ich wohl auch nicht sein, denn schließlich haben
mich ja die Beach Boys gebeten, bei ihnen einzusteigen, und nicht umgekehrt.
Mensch, Mike Love ist verrückt... weißt du, ich hab' sogar
noch dafür gesorgt, dass Brian endlich in psychiatrische Behandlung
kam. Pah, Geschäftsmann... ich hab' mein Geld längst verdient.
Nein, nein, so was wie Mike Love sollte man eigentlich nicht frei rumlaufen
lassen.
Ach, was reg' ich mich auf, eigentlich bin ich nämlich nicht hierher
gekommen, um Journalisten zu erzählen, dass Mike Love ein Irrer
ist, sondern ich würde viel lieber Volker Schlöndorff treffen.
Ich würde nämlich zu gerne in den Staaten einen Verleih für
Filme aufziehen, wie Schlöndorff oder Herzog sie machen. Solche
Streifen kriegt man drüben kaum oder gar nicht zu sehen..."
Fühl'
mich stärker jeden Tag
Mit diesen Worten
geleitet er mich wieder zurück in den anderen Raum, wo Terry Kath,
mittlerweile von jeder Menge voller und leerer Pilsner Urquell-Flaschen
umrahmt, immer noch über Chicago-LPs doziert und Senior Oliveira
momentan sein einziger Zuhörer ist: "...One war die einzige
Platte, die wir auf 'ner Eight-Track-Maschine gemacht haben, und daher
hat sie auch 'nen völlig anderen Sound; völlig anders als
jede Chicago-Platte, die folgte, und auch völlig anders als jede
Platte, die zu der Zeit (68) rausgekommen ist. Vor 'ner Viertelstunde
hab' ich gesagt, dass Nr. 1 und 7 für mich die besten sind, Nr.
1 wegen der Stücke und Nr. 7, weil es für meine Begriffe eine
Sound-Barriere durchbrochen hat. 1, 2 und 3, die waren funky und sehr
rockig, dann kam Nr. 4, was eine sehr relaxte Angelegenheit war. Ich
glaube, der verschiedene Sound der Platten hat etwas mit unserem sich
ändernden Lebensrhythmus zu tun, denn die Nr. 8 und die 10, die
klingen ja wieder ganz anders. Und ganz anders wird auch die Nr. 11
werden, an der wir schon arbeiten. Die Platte wird wohl eher balladenhaft
werden..."
Ich sag' ihm, dass er aber auch an ein "Feeling Stronger...' denken
möchte, und Peter Cetera, der Komponist des Titels, der eben wieder
erscheint, attestiert mir einen guten Geschmack.
Irgendwie kommt die Frage aufs Tapet, wie lange Chicago durchschnittlich
für die Produktion einer LP brauchen, und Guercio meint: "Verglichen
mit anderen Bands nicht lange; wenn's schnell geht, so etwa zwei Wochen,
wenn's. nicht so gut läuft, auch schon mal vier Wochen. Die drei
besagten Gruppen arbeiten immer völlig getrennt, das ist unser
Vorteil. Die Rhythmusleute fangen an, dann folgen die Bläser, und
zuletzt sind die Sänger dran." Kath grinst: "Das nennt
man Arbeitsteilung! I like it..." Guercio: "Das ist auch für
die jeweiligen Komponisten ein Vorteil, denn die können dank dieses
Verfahrens peu a peu verfolgen, wie ihr Stück Gestalt annimmt und
haben außerdem die Möglichkeit, von Overdub zu Overdub noch
Korrekturen vorzunehmen." In etwas seltsam klingendem Englisch
meint Senior Oliveira, es sei faszinierend für ihn, mitzubekommen,
wie aus einer simplen Idee ein fertiger Song entstünde.
Von Brasilien
nach Chicago
Ich frage ihn,
wann er denn eingestiegen sei, und Kath grölt: "Vor viel zu
langer Zeit." Doch mit südländischer Höflichkeit
überhört Oliveira das und antwortet: "Vor drei Jahren.
Ich bin für Gija eingestiegen; der war ein kubanischer Percussionist.
Ich komme aus Brasilien!" Und bei diesem letzten Satz meint man,
seine Brust vor Stolz schwellen zu sehen.
"Hahaha", röhrt Terry Kath, "Gija, unser weiblicher
Percussionist, die Schlagzeuglesbe. Da hat doch damals 'ne deutsche
Zeitung in einer Konzertbesprechung geschrieben, dass wir 'nen weiblichen
Percussionspieler hätten; und das, weil Gija reichlich lange Haare
hatte, hahaha..."
Oliveira meldet sich wieder zu Wort: "Bevor ich zu Chicago kam,
war ich bei Sergio Mendez, und davor hab' ich in Hamburg gelebt."
Als wäre Hamburg das Stichwort gewesen, fangen die versammelten
Herren Musiker nun an zu diskutieren, was man denn hier alles erstehen
müsse. Kath ist, wie gesagt, und weil er wohl bald Vater wird,
sehr an Babykleidung interessiert, Oliveira meint, er brauche entweder
'nen Grundig- oder 'nen Telefunken-Recorder, denn er wisse noch aus
seiner Zeit in Deutschland, dass das die besten seien, und der schüchterne
Mr. Seraphine meint bescheiden, dass er 'nen neuen BMW haben müsse.
Doch bevor sie zur Shopping-Tour aufbrechen, wird schnell noch ein anderes
Spielchen gespielt: Oliveira spielt nun den Interviewer, Kath bleibt
der Interviewte, doch lässt er sich vorher nicht nehmen, Oliveira,
der auf den schönen Vornamen Laudir hört, schnell noch als
Low Gear (Schneckentempo) Carrera anzukündigen.
Oliveira: "Warum sind Sie in Hamburg?"
Kath: "Um die Februar-Tour vorzubereiten. Es muss Februar sein,
denn da hab' ich Geburtstag, und an dem Tag darf ich nicht zu Hause
sein, haha."
Oliveira: "Warum ist die Gruppe Chicago bei CBS unter Vertrag?"
Kath: "Weil die uns ein Angebot gemacht haben, das wir nicht ablehnen
konnten!"
Oliveira: "Ein unsittliches?" Kath kriegt 'nen Lachkoller,
doch der Senior Oliveira schiebt schon die nächste Frage nach:
"Wie lange wollen Sie noch bei der Firma bleiben?" Kath (wieder
auf dem Teppich): "Keine Ahnung. Doch Mütterchen CBS ist schon
reichlich schwanger. Das könnte die Geburt unserer eigenen Company
bedeuten. Ich meine, wir sind schon lange auf dem Level, wo wir's könnten."
- Das scheint er ernst gemeint zu haben, doch Oliveira hat noch 'ne
Frage: "Was soll der Titel ,25 Or 6 To 4' bedeuten?" Kath:
"Juchhu, 'ne gute Frage. Das hätte auch ,26 Or 7 To 5' heißen
können, denn die Nummern bedeuten nichts anderes, als dass es fünfundzwanzig
oder sechsundzwanzig Minuten vor vier Uhr morgens war, als dieser Song
entstand. Das flippt dich, he?"
Nach dieser umwerfenden Antwort scheint Oliveira die Nase voll zu haben,
und ich kann endlich noch eine Frage loswerden, die mir schon die ganze
Zeit auf der Zunge liegt; mich interessiert nämlich mal zu erfahren,
wie sich die Verleihung der Ehrenmedaille der Stadt Chicago durch den
Bürgermeister Richard Daley anlässlich des zehnjährigen
Bestehens der Gruppe Chicago mit dem hochtrabenden Spruch auf der zweiten
LP "We dedicate our lives and our energies to the revolution"
in Einklang bringen lässt. Richard Daley nämlich, muss man
wissen, war 1968 für die Polizeiprügelorgien während
des demokratischen Parteitags in Chicago mit verantwortlich, die plötzlich
aus dem Summer of Love ein heimisches Vietnam machten.
"Tja", meint Kath und kratzt sich etwas betreten die Wampe,
"das ist'n Ding, zu dem ich nichts sagen kann, da musst du schon
Robert Lamm fragen. Der ist unser gruppeninterner Revolutionär,
und diese Sprüche und auch diese ganzen Politsongs sind ausschließlich
auf seinem Mist gewachsen. Mich interessiert Politik nicht einen Deut,
und (er fängt schon wieder an zu grinsen) ich guck nie Fernsehen,
ich lese kein Buch und auch keine Zeitung. Ehrlich gesagt kann ich überhaupt
nicht lesen. Nein, aber im Ernst, dieser Polittrip, das ist Lamms Ding,
und wenn wir hierher kommen im Februar, dann solltest du ihn ruhig mal
diesbezüglich in die Mangel nehmen, denn ich finde, dass uns das
alles mehr geschadet als genutzt hat!"
Mit diesen Worten verabschiedet sich Meister Kath, denn die Taxen, die
ihn und die anderen zum Shopping bringen sollen, warten schon. -
Bleibt abzuwarten, ob sich Mr. Lamm im Februar zu seiner Revolution
äußern wird. Abzuwarten bleibt auch, ob der Live-Sound der
Gruppe tatsächlich noch so viel besser geworden ist, wie Terry
Kath gemeint hat. Wenn ja, müssten Chicago mittlerweile eine Musikmaschine
von ungeahnter Präzision sein, denn Scheeßel war, wie gesagt,
schon "far out". Und last not least bleibt auch abzuwarten,
ob die LP Nr. 11 den versprochenen Wandel bringen wird, oder wieder
nur (meiner Meinung nach) größtenteils eine James Last-Blasmusik
für sog. Progressive...